Par Franziska Jäger

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Hüben und drüben


Par Franziska Jäger

samedi 13 décembre 2014
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Vielerorts genügen ein paar Schritte über die Brücke, um zwischen dem Bundesland Baden-Württemberg und der Region Elsass hin und her zu pendeln. Selbstverständlich ist eine reibungslose Kooperation deshalb nicht immer.



 Christian Tiriou betrachtet sich selbst als ein Produkt des Oberrheins. Sein Vater kommt aus Paris, seine Mutter aus Ludwigshafen. Tiriou selbst ist im pfälzischen Berg aufgewachsen. Natürlich ist er mit zwei Sprachen groß geworden, natürlich ging er ab dem sechsten Lebensjahr auf eine französische Schule. Als er klein war, fuhr sein Vater mit ihm hinüber ins zwei Kilometer entfernte Lauterbourg im Elsass. Dann saß der kleine Christian auf dem Rücksitz und freute sich auf den bunten Einkaufswagen im französischen "supermarché". Auf dem Rückweg ging es durch die Grenzkontrolle. Immer wieder ging der Kofferraum auf und zu. Jahrelang. So war das eben. Heute sitzt Christian Tiriou vorne im Auto, sein eigener Sohn hinten. Die Schlagbäume sind verschwunden, die Zollanlagen abgebaut und jeder bezahlt mit derselben Währung.
Wenn Christian Tiriou erzählt, zeichnet sich eine Mischung aus kindlichem Glück und Erstaunen auf seinem Gesicht ab. Der 37-Jährige ist mit einer Französin verheiratet. Das sei vielleicht ein bisschen schade, weil zu Hause nun wenig Deutsch gesprochen werde. Aber Tiriou wohnt, natürlich, wieder an der deutsch-französischen Grenze. Zur Arbeit hat er es nicht weit: Nur fünf Kilometer von Straßburg entfernt ginge das badische Kehl auch als Vorort der französischen Großstadt durch. Hier liegt das Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz (ZEV), wo Tiriou als Projektleiter arbeitet. Der 1993 gegründete deutsch-französische Verein informiert Verbraucher kostenlos über ihre Rechte: Wenn es Probleme nach einer Onlinebestellung gibt oder wenn eine Pauschalreise nicht das hält, was sie versprochen hat. Wenn der Franzose nicht weiß, wo er seine Steuern bezahlen muss, wenn er auf der deutschen Rheinseite ein Haus bauen will. Für Ärger sorgt auch immer wieder die Kfz-Zulassung, wenn sich etwa ein Straßburger ein Auto in Kehl kauft, die Stadt Straßburg den deutschen TÜV-Bericht aber nicht anerkennen will. 

Im bionationalen Paragrafendschungel

"Das kann doch nicht angehen, schon gar nicht hier bei uns!" Christian Tiriou hat wenig Verständnis für die unnötige Bürokratie im Eurodistrikt Straßburg-Ortenau, die nicht zur Lebenswirklichkeit passt. Über 74 % aller Fälle hat das ZEV im letzten Jahr gelöst. Im Laufe der Jahre hat das Team viele Beispiele für bürokratische Schlaglöcher gesammelt und an die Regierungen weitergegeben. Mit Erfolg: Im Mai dieses Jahres wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Anerkennung des deutschen TÜV-Berichts in Frankreich festlegt. Im Sommer dann der Schock: Der Rechnungshof Baden-Württemberg will die Förderung des ZEV - finanziert wird es von Deutschland, Frankreich und der Europäischen Kommission - Ende des Jahres auslaufen lassen. Als Grund wurde angegeben, dass die EU 2005 die Förderung eines europäischen Verbraucherzentrums pro Mitgliedstaat ausgeschrieben habe. Die Ziele der europäischen Verbraucherzentralen seien "nahezu identisch mit denen des ZEV", meint der Rechnungshof. "Unsinn", kontert Tiriou. "Die Kehler Institution bearbeitet ganz andere Anfragen. Solche nämlich, die mit dem Leben der Grenzbewohner zusammenhängen." Ein Förderungsende wäre auch das Ende des ZEV.

Impulse aus der Schweiz 

 Dabei scheint das grenznahe Leben doch prädestiniert für die länderübergreifende Zusammenarbeit. Die regionale Kooperation zwischen Baden-Württemberg und dem Elsass ist in ihrer Art einzigartig. Knapp 450 grenzüberschreitende Projekte wurden seit 1992 am Oberrhein angestoßen. Der 350 Kilometer lange Abschnitt des Rheins zwischen Basel und Bingen öffnet den binationalen Austausch außerdem in Richtung Schweiz. Letztere war es, die 1975 die grenzüberschreitende Zusammenarbeit überhaupt erst so richtig ins Rollen brachte. Heute sei das Verhältnis zur Schweiz ein anderes, meint Jürgen Oser, Beauftragter der Trinationalen Metropolregion Oberrhein in Freiburg. "Die Schweiz ist seit ein paar Jahren mit ihrer Einwanderungspolitik beschäftigt. Ihr Status quo hat die Bedeutung der trinationalen Zusammenarbeit verändert." So laufen momentan 85 % der grenzüberschreitenden Projekte allein zwischen Deutschland und Frankreich ab. Vorzeigeinitiativen sind etwa der Oberrheinische Museumspass für rund 300 Museen, Schlösser und Gärten oder das deutsch-französische Feuerlöschboot in Kehl. Zu den Erfolgsgeschichten zählen auch das große "Wohngebiet Deux Rives" im Straßburger Hafenviertel, die ebenfalls dort ansässige deutsch-französische Krippe sowie die für 2016 geplante Straßenbahnlinie von Straßburg nach Kehl. Nicht zu vergessen sind die über zehn Fußgängerbrücken, die die Menschen beiderseits des Rheins zusammenbringen. Dass der Austausch so gut funktioniere, liege laut Oser auch an der guten Infrastruktur der Region, mit der man besser auf Europa vorbereitet sei als manche Binnenkooperation.

 Die 2009 gegründete Trinationale Metropolregion Oberrhein (TMO) zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz verfolgt eine Vier-Säulen-Politik: Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik sollen im Dreiländerraum ausgebaut werden. Das EU-Programm "Interreg V" wird dafür von 2014 bis 2020 insgesamt 109 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Mehr Geld als je zuvor. Viele Euros werden auch in universitäre Kooperationen fließen wie beispielsweise "TriRhenaTech", einen Zusammenschluss von fünf deutschen Ingenieursschulen, Alsace Tech und der Fachhochschule Nordwestschweiz. Rund 38 000 Studierende werden bald grenzüberschreitend forschen und entwickeln.
Während der Hochschulbereich mit Kooperationen glänzt, gestaltet sich der Austausch von Arbeitskräften etwas schwieriger: "Bis zum Jahr 2025 werden rund 24 000 Fachkräfte fehlen", meint Horst Sahrbacher, Leiter der Agentur für Arbeit in Offenburg. "Gleichzeitig wird mit einem Rückgang um 30 % bei den Ausbildungswegen gerechnet. Die Wirtschaft steht also unter enormen Druck." Die fehlenden Fachkräfte will man aus dem Elsass anwerben, wo die Arbeitslosenquote bei neun Prozent liegt, gegenüber 3,4 Prozent auf deutscher Rheinseite. Gesucht werden vor allem Bäcker, Handwerker, Kraftfahrer und Logistikmitarbeiter. Man wolle vor allem auch junge Elsässer, die in der Heimat keine Perspektive haben, für eine Ausbildung in Deutschland gewinnen, so Sahrbacher. Keine leichte Aufgabe: "Wir müssen den Franzosen klarmachen, dass eine Ausbildung zum Metallfacharbeiter in Deutschland nichts Minderwertiges ist." Eine Ausbildung habe in Frankreich, wo viele Jugendliche nach einem Universitätsabschluss streben, nicht denselben Stellenwert wie in Deutschland. "In Frankreich ist die Ausbildung aber eher schulisch ausgerichtet und nicht wie bei uns dual", erklärt Sahrbacher. ?Das vermitteln wir gerade den Schülern und Eltern drüben." 
 Auch die goldenen Zeiten der Grenzpendler scheinen vorerst vorbei zu sein. 2002 kamen noch 8 694 Pendler aus Frankreich in die Ortenau, am Rande des Schwarzwalds. 2010 erreichte man mit 6 349 Einpendlern einen historischen Tiefststand. Langsam steige die Zahl jedoch wieder an, versichert Horst Sahrbacher. Auch Marcel Bauer, Bürgermeister von Sélestat, erlebt jeden Tag das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen seiner elsässischen Stadt und dem deutschen Emmendingen. Die beiden Städte liegen rund 30 Kilometer voneinander entfernt. In Sélestat habe ein Viertel der Jugendlichen keinen Job. "Wir sehen doch, dass es da drüben schneller voran geht. Es gibt dort eben die Jobs, die es bei uns nicht gibt", sagt Bauer. "Im Einzelfall klappt es auch, einen Auszubildenden zu vermitteln, aber es könnte natürlich besser sein", gibt der Emmendinger Oberbürgermeister Stefan Schlatterer zu. Emmendingen und Sélestat sind zwar keine offiziellen Partnerstädte, die Beziehung ist aber trotzdem sehr gut. Nur einen gemeinsamen Bus wünschen Bauer und Schlatterer sich noch. Auch für einen Zuganschluss zum EuroAirport Basel-Mulhouse-Freiburg sei es an der Zeit. Die vielen grenzüberschreitenden Institutionen überzeugen Schlatterer aber nicht unbedingt. "Mir würden auch ein oder zwei davon reichen, wenn sie sich auf mehr konkrete Projekte konzentrieren. Die Kennenlernphase haben wir hinter uns, jetzt ist es an der Zeit für die praktischen Dinge." Das ZEV in Kehl kann seine Vermittlungsarbeit zwischen hüben und drüben vorerst weiterführen. Ende Oktober kam aus Stuttgart grünes Licht für eine weitere Finanzierung.




 
 
Von Franziska Jäger
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