Von Peter Hauff

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Fuß fassen in fremden Märkten


Von Peter Hauff

Montag, 16. Februar 2015
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Junge Menschen haben es zurzeit besonders schwer auf dem französischen Arbeitsmarkt. Umso höher ist das Interesse an einem Job in Deutschland. In Stuttgart starten viele dieser Karrieren im Rahmen eines Volontariat international en entreprise (VIE) im Auftrag französischer Firmen.



Es ist Herbst in Stuttgart. Die acht Unternehmensvolontäre, die an diesem kalten Nachmittag Interviews geben, sind trotzdem bester Laune. Schüchtern bis selbstbewusst wird am Geburtsort von Bosch und Daimler über Geschäfte geredet, über deutsch-französische Unterschiede gelacht, in beiden Sprachen. Die jungen Frauen und Männer zwischen 18 und 28 Jahren leiten anspruchsvolle Projekte für französische Start-Ups, kleine Mittelständler oder Firmen mit mehreren hundert Angestellten. Sie sollen den Export nach Deutschland ankurbeln und Vertriebsnetze aufbauen. Dafür ist den ?freiwilligen Auslandshelfern" rund 1 800 Euro steuerfreies Gehalt sicher. ?Wenn es nach sechs bis 24 Monaten gut läuft, werden die Volontäre sehr oft übernommen", meint Céline Eheim, die in Stuttgart die Entreprise Rhône-Alpes International (ERAI) leitet. Die Außenhandelsberatung für französische Unternehmen organisiert auch das Volontariat international en entreprise (VIE), das vor 14 Jahren eingeführt wurde. Die Nachfrage nach diesen beruflichen Sprungbrettern im Ausland ist groß. Laut UBIFRANCE, der französischen Agentur für den Außenhandel, bewarben sich dieses Jahr rund 65 000 junge Menschen um ein VIE. Im September wurden aus ihnen 8 200 Kandidaten ausgesiebt, denen rund 1 800 französische Unternehmen gegenüber standen, die einen Volontär für ihr Deutschlandgeschäft suchten. Nicht jeder hat aber Glück, denn ins Ausland kommen nur die Besten.
?Unsere Firmen sparen mit einem VIE auch beträchtlich Steuern", schildert Céline Eheim. Für ERAI coacht sie derzeit acht Volontäre. Zwei weitere Mitarbeiter kümmern sich um zusätzliche Volontäre im ERAI-Zweigbüro in München, das auf Grund der hohen Nachfrage 2015 sogar erweitert werden soll. Ein breiter Flur, Glastüren und Schreibtische, die in Rufweite voneinander stehen - für französische Konzerne und Verwaltungen ist so viel Nähe ungewöhnlich. ?Wer in Deutschland erfolgreich Geschäfte machen will, muss auch arbeiten wie die Deutschen", sagt Eheim. Als Präsidentin des Club d'Affaires franco-allemand in Baden-Württemberg weiß sie, wovon sie spricht.
In den letzten Jahren haben immer mehr französische Absolventen einen Auslandseinsatz gesucht. Zwischen 20 bis 30 Absagen stecken die meisten ein, bis es mit einem VIE klappt. Lauranne Pari bereut den Bewerbungsmarathon trotzdem nicht: ?Wenn du mit 25 kein Wagnis eingehst, wirst du dich später nicht mehr trauen", meint Lauranne. Nun steht sie bei dem Siliziumscheibenhersteller Sil'tronix, der in der Nähe von Genf sitzt, für zwölf Monate unter Vertrag. Die Firma bietet deutschen Kunden keine Massenware an, sondern ausschließlich Einzelstücke. ?Hier sitzen internationale Forschungslabors für Physik, Chemie und viel Industrie", erzählt Lauranne. ?Wer für weltberühmte Adressen arbeitet wie das Fraunhofer Institut in Dresden, der hat überall die beste Visitenkarte."
Internationale Firmenluft schnuppert auch Audrey Clause. Ihr Auftraggeber Isermatic aus Roussillon stellt Aluminiumspannrahmen her. Daraus lassen sich Werbeflächen zusammenstellen, die den Autofahrern zum Beispiel am Stuttgarter Flughafen ins Auge springen. ?Was nachher kommt, weiß ich nicht", sagt die junge Wirtschaftsabsolventin. ?Das Volontariat war für mich eine strategische Wahl für meinen Lebenslauf - ich will mein Diplom nicht einfach verschwenden." Audreys akzentfreies Deutsch verdankt die Volontärin einem Erasmusjahr in Villingen-Schwenningen und einem Marketingpraktikum bei einem Berliner Start-Up.
Stuttgart ist aber mehr als ein Scharnier für Auslandseinsteiger. Die ERAI ist hier schon seit ihrer Gründung 1987 präsent. ?Viele Unternehmer der Region Rhône-Alpes rufen bei uns an, um Geschäftspartner zu finden", erzählt Céline Eheim. Das Netzwerk fördert die Wirtschaft rund um Lyon und hilft kleinen und mittelständischen Firmen beim Sprung ins Ausland. Inzwischen gibt es 27 ERAI-Büros in aller Welt - zwei davon in Deutschland. Viele Stereotype halten sich trotz dieser Arbeit bis heute, häufig werden auch falsche Hoffnungen in den deutschen Markt gesetzt. Céline Eheim rät ihren Landsleuten immer wieder: ?Lassen Sie sich von jemand helfen, der Ihre deutschen Partner versteht." Englisch mag für den Anfang ausreichen, wenn Tarife angedeutet und Verträge skizziert werden, sagt sie. ?Wenn es aber ans Eingemachte geht, verlangen deutsche Unternehmer eine Person, die ihre Sprache spricht."
Wenige Franzosen wissen, dass deutsche Firmen bis zu 30 % ihres Umsatzes auf Messen vorbereiten und ihre Verträge teilweise direkt dort abschließen. Verständliche Formulare sind ein weiteres Plus. Das VIE eines Deutsch sprechenden Berufsanfängers kann da Brücken bauen - möglicherweise ist aber auch ein älterer Profi gefragt. ERAI schließt mit seinem Programm ?Implantis" in Stuttgart und München auch diese Lücke. Zum ?Willkommenspaket" gehört es, den französischen Auslandsbeauftragten ihren Weg zur Bank zu zeigen, Rechtsberater zu vermitteln und in dreimonatigen Coachings klare Ziele zu stecken. So können der französische Mitarbeiter in Deutschland und das entsendende Unternehmen in Frankreich sicher sein, dass sie tatsächlich das schaffen, was viele Marktstudien nur versprechen. Der Wechsel von einem nationalen Markt in den anderen muss nicht immer schwierig sein.
 
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