Manuel Fritsch

Contribution sous : ParisBerlin Web >>  Gesellschaft

Ein Kampf gegen das Vergessen und für Gerechtigkeit


mardi 10 novembre 2015
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Beate und Arno Klarsfeld sprachen in der Maison Heinrich Heine über die Jagd auf Nazis und die "Erinnerungen" von Beate und Serge Klarsfeld, die soeben auf Deutsch erschienen sind.






 























"Nazi! Nazi!" schreit sie, stürmt auf den Vorstandstisch zu und verpasst dem damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger eine Ohrfeige. In beschleunigtem Verfahren wird Beate Klarsfeld daraufhin zu einem Jahr Haft verurteilt. Das war 1968. Als sie die Anekdote knapp 50 Jahre später erzählt, wird ihr nachdrücklich applaudiert. "Merci! Merci!" ruft es aus dem Publikum. Dass sich die öffentliche Haltung zum Umgang mit ehemaligen Nationalsozialisten in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten so geändert hat, daran hat das Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld großen Anteil.

Anfang November waren sie in der Maison Heinrich Heine in Paris zu Gast, um ihre Erinnerungen vorzustellen, die am 9. November auf Deutsch erscheinen. Auf über 600 Seiten erzählen die beiden abwechselnd, wie aus der Begegnung eines deutschen Au-pair-Mädchens und eines jungen französischen Historikers an einer Pariser Metrostation das berühmte Paar Nazijäger wurde, das auf beiden Seiten des Rheins den Umgang mit der Vergangenheit revolutionierte und zahlreiche alte Nazis vor Gericht brachte. An diesem Abend in Paris allerdings wird Serge Klarsfeld von seinem Sohn Arno vertreten, der die Erinnerungen seiner Mutter mit juristischer Fachkenntnis unterfüttert, die er sich als Anwalt während mehrerer Prozesse unter anderem gegen französische Kollaborateure angeeignet hat.

Mit dem Duktus der Selbstverständlichkeit erzählt Beate Klarsfeld, wie sie und ihr Mann alten Nazigrößen auf die Schliche gekommen sind. Wie sie Klaus Barbie in Bolivien aufgespürt haben und versuchten, ihn nach Europa zu bringen. Ein Entführungsversuch scheiterte und erst 1983 wurde Barbie nach einem Regierungswechsel ausgeliefert und vier Jahre später in einem spektakulären Prozess in Frankreich verurteilt. Arno Klarsfeld betont, dass Barbie keineswegs der wichtigste NS-Täter in Frankreich war. Doch habe sein Prozess eine starke Symbolwirkung gehabt, da gerade Barbie zeige, mit welcher Leidenschaft die Vernichtung der Juden betrieben wurde. So veranlasste er noch 1944 die Deportation von 44 jüdischen Weisenkindern nach Auschwitz. "Der Prozess zeigte den Willen Barbies, bis ans Äußerste zu gehen, um die 44 Kinder von Izieu in den Tod zu schicken", stellte Arno Klarsfeld fest. "Und meine Eltern mussten dann bis ans andere Ende der Welt gehen, um ihn vor Gericht zu bringen."

Nicht ganz so weit reisen brauchte das Paar, um Kurt Lischka aufzuspüren, der für die Deportation von 40 000 französischen Juden verantwortlich war, in Paris die Gestapozentrale ausbaute und einen grausamen Feldzug gegen die Résistance führte. Doch damit er in Deutschland, wo Beate Klarsfeld ihn ausfindig gemacht hatte, verurteilt werden konnte, brauchte es eine juristische Anstrengung, die erst 1975 mit der Ratifizierung eines Zusatzabkommens, des "Lex Klarsfeld", erfolgreich war, das eine Verurteilung in Deutschland möglich machte. Vorher waren Kriegsverbrecher wie Lischka, die einmal von den Alliierten freigesprochen waren, quasi unantastbar. Auch das wird an dem Abend klar: dass eine Nazi-Jagt keineswegs verläuft wie ein Tarantino Film. Vielmehr sind juristisches Gespür und Fingerspitzengefühl gefragt.

Nicht alle Jagden des Paares verliefen erfolgreich. Den "Todesengel" von Auschwitz Joseph Mengele konnten sie nur mehr tot aufspüren und an Alois Brunner, der enger Mitarbeiter von Eichmann war, kamen sie nicht heran. Der in Syrien lebende NS-Verbrecher wurde vom Assad Regime geschützt. "Immerhin hat er ein Auge und einige Finger der rechten Hand verloren, als der Mossad ihm einige Briefbomben geschickt hat. Er wusste also, dass die Opfer wissen, wo er ist", erzählt Beate Klarsfeld.
Der Politologe Henri Ménudier, der den Abend moderierte, stellte abschließend den Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung des Paares fest. Während sie insgesamt mehrere Wochen für ihre Aktionen in Gefängnissen verbracht hat, in Deutschland wegen ihres Kampfes gegen alte Nazigrößen, in den arabischen Ländern wegen ihrer Unterstützung Israels, wurde Beate Klarsfeld 2012 Kandidatin der Linkspartei für die Wahl zum Bundespräsidenten und dieses Jahr wurde dem Paar das Bundesverdienstkreuz verliehen.

© Maison Heinrich Heine

Serge Klarsfeld / Beate Klarsfeld,
"Mémoires", Fayard/Flammarion, 687, 26 Euro
"Erinnerungen", Piper, 624, 28 Euro
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Dieser Text stammt aus der Académie de Berlin.
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