Von Markus Gabel

Die Zukunft der Presse


samedi 18 octobre 2014
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Der französische und deutsche Zeitungsmarkt sind sehr unterschiedlich, doch im digitalen Zeitalter müssen sie dieselben Hürden nehmen. Die konkurrenzstarke deutsche Presse ist dabei im Vorteil.



Noch nie erreichten die Tageszeitungen so viele Menschen wie heute und noch nie waren die Erzählformen so vielfältig: Ein Online-Dossier vertieft die Printreportage, zahlreiche Regionalzeitungen ergänzen ihre Berichte im Internet mit Videos. Dennoch wurde selten so negativ über die Zukunft der Printpresse diskutiert wie heute. In diesem Sommer widmete sich Arte mit der Dokumentation Journalismus von morgen: Die virtuelle Feder dem Thema. In Frankreich kam im September der Dokumentarfilm Les Gens du Monde in die Kinos, der die Redakteure von Le Monde während der Präsidentschaftswahlkampagne 2012 begleitet und die wachsenden Probleme des Redaktionsalltags beschreibt. 

Über Jahrzehnte haben deutsche und französische Verlage ein höchst einträgliches Geschäftsmodell für das Bedrucken und Verteilen von Papier entwickelt - ein Modell, das in der digitalen Welt versagt. Werbeeinnahmen schrumpfen und die Lesegewohnheiten ändern sich. Websites, Blogs und soziale Netzwerke sind nicht nur zu Konkurrenten der traditionellen Tageszeitungen geworden, sie verbreiten Nachrichten auch schneller. Doch nicht alle sind pessimistisch, wenn es um die Zukunft der Printmedien geht. Manche glauben gar an ein goldenes Zeitalter für Information und Nachrichten, ihr Mantra lautet Qualitätssteigerung durch Kosteneinsparung. Den alteingesessenen Printjournalisten werfen sie vor, in erster Linie um ihren schwindenden Einfluss besorgt zu sein.

?Zwar sind in Frankreich und Deutschland die Herausforderungen dieselben, die Ausgangssituationen sind aber sehr unterschiedlich", erklärt Valérie Robert, Privatdozentin an der Université de la Sorbonne Nouvelle und Leiterin des deutsch-französischen Journalismus-Masterprogramms. ?In Deutschland können wir von einer echten Medienökonomie sprechen, die Marktdichte und der Konkurrenzdruck sind hoch. In Frankreich ist dies nur in einem deutlich geringeren Maß der Fall", meint Robert. Betrachtet man die Anzahl der Tageszeitungen und Magazine, die Auflagen, Umsatzzahlen, Verkaufsstellen und Abonnentendichte, liegen die deutschen Presseorgane stets weit vor den französischen. In Frankreich gibt es meist nur eine Tageszeitung pro Region, nur selten überschneiden sich die Verbreitungsgebiete. Nur bei der Onlineleserschaft führen die französischen Zeitungen - allerdings ohne ein nachhaltiges Geschäftsmodell gefunden zu haben. Das gilt für Ouest France, die meistgelesene französische Tageszeitung, ebenso wie für die reine Onlinezeitung Mediapart.

Aber auch in Deutschland gibt es mittlerweile Anzeichen einer Krise. Zwar verkaufen überregionale Tageszeitungen wie die Süddeutsche Zeitung oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung noch 300 000 bis 400 000 Exemplare täglich, insgesamt aber gehen die Auflagen zurück. Defizitäre Blätter wie die Financial Times Deutschland mussten den Betrieb einstellen, andere wie die Frankfurter Rundschau wurden von der Konkurrenz übernommen. Auch die ständigen Wechsel der Chefredakteure bei Spiegel, Fokus und Stern deuten auf eine steigende Nervosität hin.

Noch haben deutsche Tageszeitungen die Möglichkeit, die Krise gestalterisch zu bewältigen. Denn trotz eines leichten Rückgangs in der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung geht es der Medienwirtschaft laut Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Seufert in Deutschland gut: ?Die letzten Jahre waren insgesamt erfolgreich für die deutschen Presseverlage, die Rentabilität fällt immer noch in allen Teilbranchen weit überdurchschnittlich aus". So erzielte Die Zeit beispielsweise 2013 das beste Umsatzergebnis ihrer Geschichte.

In Frankreich dagegen schreiben die meisten Zeitungen tiefrote Zahlen und das trotz einer starken finanziellen Präsenz branchenfremder Finanziers. Zu einer Stärkung der französischen Presselandschaft haben sie nicht geführt. Im Gegenteil: Die Abhängigkeit von direkten Subventionen, ermäßigten Umsatzsteuern und Vertriebshilfen, die sich im vergangenen Jahr auf etwa 700 Millionen Euro beliefen, wächst. Gefördert werden nicht nur Qualitätszeitungen wie Le Monde oder Le Figaro, sondern auch Boulevardblätter wie Gala, Closer oder Télé Poche. Auch deshalb sieht Valérie Robert die Situation in Frankreich sehr kritisch: ?Die Dynamik der französischen Printpresse ist negativ. Wenn eines Tages Papier als Trägermedium verschwinden sollte, dann sicher zuerst in Frankreich." In Deutschland sei die Lage auch deshalb anders, weil dort die Tageszeitungen eine echte Konkurrenz zu den Magazinen darstellten. ?In Frankreich hat sich die Presse eher in einer Zuschauerrolle eingerichtet. Für den Leser ist das weniger interessant", erklärt Robert. Hinzu käme ein ?Vertrauensproblem durch die teilweise undurchsichtige Nähe der Medien zur Politik."

Den Verlagen scheinen momentan nur zwei Möglichkeiten zu bleiben: Kosten sparen und neue Einnahmequellen finden. In Deutschland wie in Frankreich führt dies zu zahlreichen Stellenstreichungen, denn Einsparpotentiale sehen Verlags- und Zeitungseigentümer vor allem in der Zusammenlegung von Redaktionen und Recherchediensten. Die Regionalpresse teilt schon jetzt das Schicksal der deutschen Brauereien: Immer mehr Journalismus kommt aus ein und demselben Redaktionskessel, Angebotsvielfalt wird mit individuellen Etiketten nur vorgegaukelt. Die Westfälische Rundschau, mittlerweile zur Funke-Gruppe gehörig, arbeitet mittlerweile ganz ohne Redakteure. Ihre redaktionellen Seiten stammen von unternehmenseigenen, aber auch von konkurrierenden Tageszeitungen. Der Norddeutsche Rundfunk (NDR), die Süddeutsche Zeitung und der Westdeutsche Rundfunk (WDR) haben einen gemeinsamen Recherchepool gegründet. Die Axel Springer SE, der unter anderem die Boulevardzeitung Bild gehört, hingegen erschließt erfolgreich neue Finanzierungsquellen, insbesondere mit Investitionen in Onlineportale, die mit Journalismus wenig zu tun haben. Der Verlag erwirtschaftet mittlerweile ein Drittel seines Umsatzes online und gleicht so die sinkenden Einnahmen der Tageszeitungssparte aus. In Frankreich versucht Le Figaro einen ähnlichen Weg zu gehen.

Das Modell des querfinanzierten Journalismus lässt sich beliebig deklinieren: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung und Le Monde organisieren Konferenzen oder Reisen, Die Zeit stützt sich auf Nebeneinnahmen aus Bücher- und Filmreihen. Auch wenn es für manche kleine oder regionale Zeitungen eng werden kann: Zumindest große Blätter können weiter erfolgreich sein. Schließlich haben Verlage ihr Geld noch nie ausschließlich mit Nachrichten verdient.
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