"Noch nie waren wir so wohlhabend"


mardi 01 août 2017
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Worin unterscheiden sich das deutsche und das französische Sozialmodell? Welchen Herausforderungen muss sich die Sozialpolitik beider Länder heutzutage stellen? Und wie können Deutschland und Frankreich in Zukunft zu einem sozialeren Europa beitragen? Die Deutsch-französischen Dialoge zum sozialen Europa gehen diesen Fragen auf den Grund.


© Roman Lashkin

"Es gibt keinen Wohlstand ohne sozialen Zusammenhalt". Das Zitat der ehemaligen französischen Arbeitsministerin Myriam El Khomri gibt ein treffendes Resümee der Konferenzreihe, die von der Bertelsmann-Stiftung und der Französischen Botschaft Berlin zwischen Ende 2016 und Anfang 2017 veranstaltet wurde. Im April dieses Jahres erschien nun die Enddokumentation, in welcher die Einblicke und Ergebnisse der Debatten und Vorträge veröffentlicht wurden.  

Der Zyklus aus insgesamt vier Veranstaltungen fokussierte vier Themenschwerpunkte der aktuellen Sozialpolitik: Migration und Integration, Armut und Ungleichheit, Familienpolitik und "Arbeit 4.0". Die Dialoge zwischen deutschen und französischen Politikern und Vertretern wichtiger Institutionen beider Länder aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sollen neben einem besseren Verständnis des jeweils anderen Sozialmodells auch einen Austausch über die zukünftigen Aufgaben und Veränderungen des Sozialstaates in Europa im Hinblick auf die fortschreitende Globalisierung ermöglichen.

Konvergenz statt Differenz

"Noch nie waren wir so wohlhabend, noch nie sind wir so alt geworden, noch nie hatten wir so lange Frieden, noch nie hatten wir so lange wachsende Volkswirtschaft – aber sind wir auch fähig, uns auf die Zukunft vorzubereiten?" Mit diesen Worten leitet Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann-Stiftung die in der Französischen Botschaft in Berlin veranstaltete Konferenzreihe ein. Vor dem Hintergrund der Globalisierung und internationalen Krisen, trete nicht nur der europäische Wirtschafts- und Sozialraum in ein neues Zusammenspiel, sondern auch die deutsch-französische Beziehung bedürfe einer Neuausrichtung. Denn den "Zugpferden Europas" käme angesichts der neuen Herausforderungen besonderes Gewicht zu.  

Warum gerade Deutschland und Frankreich im Zentrum der Diskussion standen, erkläre sich nicht nur aus ihrer Rolle als Motor Europas. "Deutschland und Frankreich kennen sich immer noch nicht genug", stellt Aart de Geus im Vorwort der Publikation fest. Dennoch lasse sich in den letzten Jahren ein starker Trend hin zu einer Annäherung der Sozialpolitiken in beiden Ländern feststellen und die historisch erwachsenen Unterschiede spielten eine immer geringer werdende Rolle. Zudem ständen Deutschland und Frankreich heute vor den gleichen Herausforderungen, sei es bei der Integration von Migranten, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder auch der Wandlung der Arbeitswelt durch die immer weiter greifende Digitalisierung bestimmter Arbeitsfelder. Vor diesem Hintergrund schien den Organisatoren der Veranstaltungsreihe ein Erfahrungsaustausch zwischen deutschen und französischen Diskutanten besonders wichtig.

Austausch und Dialog

In jedem Themenkomplex der Dialoge wird deutlich, dass der Austausch zwischen Deutschland und Frankreich für beide Seiten zu fruchtbaren Ergebnissen führt und auch schon geführt hat. So ist beispielsweise der 2015 in Deutschland eingeführte Mindestlohn eine in Frankreich seit langem etablierte Regelung, während in Frankreich derzeit Diskussionen über Arbeitsmarktreformen geführt werden, die den "Agenda 2010" Reformen der 2000er Jahre in Deutschland ähneln. Vor allem im Bereich der Digitalisierung des Arbeitsmarktes blicken beide Länder einer schwer voraussehbaren Zukunft entgegen und haben großes Interesse daran, gemeinsam mögliche politische Ansätze auszutauschen.

Die Deutsch-Französischen Dialoge kommen zu einer Zeit, in der die Sozialpolitik immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rückt, vor allem auf EU-Ebene. So zeigte eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2015, dass 63 bis 86 Prozent der Bürger aller EU-Länder sich mehr verbindliche Mindeststandards für soziale Sicherheit in Europa wünschen, in Deutschland sind es über 75 Prozent. Um diesem Wunsch nachkommen zu können, ist es unerlässlich, dass die EU-Länder untereinander die unterschiedlichen Sozialmodelle besser kennen und verstehen – die Deutsch-Französischen Dialoge liefern hierfür einen guten ersten Anfang.




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