Von Birgit Holzer

 

Herrschaftlich wirkt es ja immer noch, das Schloss La Mothe-Chandeniers im Westen Frankreichs, 150 Kilometer von Nantes gelegen, auch rund acht Jahrhunderte nach seiner Entstehung. Wassergräben umgeben es, während seine Türme stolz in den Himmel ragen. Bewohnt wird es allerdings nicht von einem Schlossherrn oder einer Schlossdame; stattdessen haben sich Bäume und Sträucher in den Ecken der uralten Gemäuer angesiedelt, ihre Äste ragen aus den Fenstern und Bögen. Mehr Ruine als Schloss, schien La Mothe-Chandeniers bereits definitiv dem Verfall geweiht zu sein. Ihr Besitzer wollte sich von ihr trennen. Die erforderlichen Arbeiten, um sie wieder auf Vordermann zu bringen, konnte er längst nicht mehr stemmen.

 

Dann aber kam unverhofft Rettung – durch „Dartagnans“: Das Pariser Start-up lancierte ein Crowdfunding-Projekt, das überwältigend großen Anklang fand: 25 000 Menschen beteiligten sich mit einem Einsatz von jeweils mindestens 50 Euro und brachten bis Ende des vergangenen Jahres über 1,6 Millionen Euro zusammen. Jedem der Geldgeber gehört nun ein kleines Stück des Schlosses, das demnächst renoviert und wieder für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll. „Eine solche Aktion ist bislang einzigartig auf der Welt. Der Erfolg überstieg unsere Erwartungen völlig“, freute sich Romain Delaume, Mitgründer und Direktor von „Dartagnans“.

 

Wenn die Crowd den Staat ersetzt

 

Nicht zufällig lehnt sich der Name an die Trilogie über d’Artagnan und die drei Musketiere an: Es ist ein Hinweis auf deren Mut und Unverfrorenheit, aber auch das Geschichtsbewusstsein des siebenköpfigen Start-ups. Seit seiner Gründung vor zweieinhalb Jahren hat es sich darauf spezialisiert, historische Monumente zu erhalten, indem es öffentliche Unterstützungsaktionen organisiert. Beispielsweise können Interessierte private Führungen in Schlössern und damit Zugang zu sonst verborgenen Orten erhalten. „Frankreichs Schatz sind seine Kulturgüter und die Menschen hängen sehr daran. Aber die öffentlichen Subventionen sinken ständig“, so der 31-jährige Delaume. „Wir wollen zeitgemäße Finanzierungsmöglichkeiten schaffen, um sie zu bewahren.“

 

Das Schloss La Mothe-Chandeniers ist der bisher größte Coup von „Dartagnans“. Bei dem Bauwerk handelt es sich um die Überreste einer mittelalterlichen Festung aus dem 13. Jahrhundert, die vermutlich während der Französischen Revolution verwüstet und im 19. Jahrhundert stark umgestaltet wurde. Seit ein Brand im Jahr 1932 das Gebäude teilweise zerstörte, wurde es weitgehend sich selbst überlassen und verfiel zusehends. Der letzte Besitzer hatte es 1982 erworben.

 

Nun verkaufte er es für 500 000 Euro. Bei dieser Summe lag auch das ursprünglich gesetzte Ziel, das sich das Start-up gemeinsam mit dem Verein „Adopte un château“ („Adoptiere ein Schloss“) bei der Crowdfunding-Kampagne gesetzt hatte. „Der bisherige Besitzer wollte das Monument nicht an irgendjemanden verkaufen. Unser ungewöhnliches Projekt gefiel ihm“, erzählt Delaume. Und nicht nur dem 82-jährigen Schlossherrn: Über die sozialen Netzwerke ging der Finanzierungsappell durch die Welt und motivierte Liebhaber aus 115 Ländern, sich zu beteiligen: Spenden kamen aus Burkina Faso, Peru, viele auch aus Deutschland. Nur etwa die Hälfte der Geldgeber stammt aus Frankreich. Die insgesamt mehr als 25 000 Personen bleiben anonym.

 

Ein Modell mit Zukunft

 

Sie alle dürfen aber ein Wort mitreden bei künftigen Entscheidungen darüber, wie es mit dem Gemeinschaftsbesitz weitergeht. Für einen zusätzlichen Euro konnte jeder Besitzer des Schlosses auch Aktionär einer Gesellschaft werden, die sich um die Restaurierungsarbeiten kümmert. „Wir lenken die Richtung, aber die Entscheidungen über die Renovierung und Nutzung werden demokratisch getroffen“, verspricht Romain Delaume. So konnten sich alle Besitzer an der Sammlung von Ideen und Vorschlägen über die Zukunft ihres Schlosses beteiligen: Soll sie ein Ort für kulturelle Veranstaltungen werden, eine Künstler-Residenz, ein Gästehaus? „Wir möchten eine wirtschaftliche Aktivität schaffen, damit sie sich selbst trägt und so die weiteren Restaurierungs- und Unterhaltungskosten gedeckt werden. Es geht uns aber nicht darum, uns zu bereichern“, so der „Dartagnans“-Direktor. Das Geschäftsmodell des Start-ups basiert darauf, acht Prozent des gesammelten Geldes einzubehalten, um sein eigenes Funktionieren zu gewährleisten.

 

Einer der ersten Schritte besteht nun darin, das Gelände abzusichern, dessen Zugang momentan aus Sicherheitsgründen gesperrt ist. Auf der Baustelle sollen Webcams installiert werden, um über den Fortgang der Arbeiten zu informieren. Geplant ist eine Feier noch in diesem oder im nächsten Jahr vor Ort, damit die Besitzer ihn erstmals besuchen und sich untereinander kennenlernen können. Das Schloss La Mothe-Chandeniers, so Delaume, sehe er als Test für ein neues Konzept, ja als „Versuchslabor dafür, wie 2018 ein historisches Gebäude gemeinschaftlich wieder auf Vordermann gebracht werden kann“. Da das Modell Zukunft habe, denke man bereits darüber nach, dasselbe Prinzip bei einem weiteren Monument anzuwenden. Welches, verrät er nicht. Aber „Dartagnans“ wollen noch von sich hören lassen.

Par Redaktion ParisBerlin le 29 mai 2018