Von Birgit Holzer 

Auch bei klirrenden Temperaturen schlafen sie draußen. An Straßenzügen oder unter Brücken reihen sich die Zelte aneinander, zumindest einen minimalen Schutz bietend. Beispielsweise vor dem Erstaufnahme-Wohnheim im Norden von Paris, das nie genug Kapazität hat. Oder im Südosten Frankreichs, wo Flüchtlinge über die italienische Grenze einreisen. Und in der Hafenstadt Calais, in der sich Menschen auf dem Weg nach Großbritannien verstecken, auch seit das riesige Flüchtlingslager geräumt wurde. Diese Realität kollidiert mit dem Versprechen von Präsident Emmanuel Macron, bis Ende 2017 solle „niemand mehr auf der Straße, in den Wäldern schlafen“. Dasselbe Ziel hatte vor ihm auch schon Nicolas Sarkozy ausgegeben – und nicht einhalten können.

 

Zwar gibt es inzwischen „Aufnahme- und Orientierungszentren“ im ganzen Land, wo Flüchtlinge untergebracht und über ihre Rechte sowie Chancen eines Asylantrages beraten werden. Doch allein für die Antragstellung sind die Fristen lang. Anders als in vielen Nachbarstaaten stieg die Zahl der Asylanträge in Frankreich 2017 um 17 Prozent auf mehr als 100 000 an; allerdings wurden diese nicht einmal bei jedem Zehnten bewilligt und so nahmen auch die Ausweisungen und freiwilligen Ausreisen – oft mit finanziellen Anreizen – zu. Die meisten Antragsteller kamen aus Albanien, obwohl dieses als sicheres Herkunftsland gilt und die Bleibechancen gering sind, gefolgt von Afghanistan und Haiti.

 

Viele Franzosen sehen dies kritisch. In Umfragen stimmen 63 Prozent der Aussage „Es gibt zu viele Einwanderer“ zu. Diese Stimmung nutzt dem rechtspopulistischen Front National, dessen Stärke sich zu großen Teilen aus der scharfen Kritik an der Immigration und insbesondere jener von Muslimen speist.

 

 

„Die Kanzlerin Merkel und die deutsche Gesellschaft haben unsere kollektive Würde gerettet“

 

Als Kandidat hatte sich Macron dieser Linie entgegengestellt und auf Frankreichs „traditionelle Empfangskultur“ verwiesen. Auch lobte er als einer von wenigen französischen und europäischen Politikern die offene Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin Angela Merkel ab 2015. „Die Kanzlerin Merkel und die deutsche Gesellschaft in ihrer Gesamtheit waren auf der Höhe unserer gemeinsamen Werte; sie haben unsere kollektive Würde gerettet, indem sie Flüchtlinge in Not aufgenommen, sie untergebracht und ausgebildet haben“, schrieb Macron in seinem Wahlprogramm.

 

Doch die konkreten Handlungen der neuen französischen Regierung weisen für Kritiker genau in die entgegengesetzte Richtung: Das neue Asyl- und Einwanderungsgesetz steht unter dem Zeichen der Verschärfung von Regeln, um Asylverfahren zu beschleunigen und Menschen ohne Bleiberecht schneller abzuschieben. „Frankreich muss Flüchtlinge aufnehmen, aber es kann nicht alle Wirtschaftsmigranten aufnehmen“, erläuterte Collomb. Eine Unterscheidung, die Catherine Gaudard von Amnesty International Frankreich als „vereinfachend und verhängnisvoll“ kritisierte.

 

 

© Sipa

 

 

Ein heikler Balanceakt

 

 

Wer französischen Boden betritt, muss dem Gesetz zufolge künftig innerhalb von 90 statt bisher 120 Tagen einen Antrag auf Asyl stellen. Das Widerspruchsrecht nach einem negativen Bescheid wird von einem Monat auf 15 Tage verkürzt. Die Bearbeitung eines Antrags, die bislang im Schnitt rund ein Jahr dauerte, soll sechs Monate nicht mehr überschreiten. Zugleich steigt die Höchstdauer der Abschiebehaft von 45 auf 90 Tage. Das illegale Überschreiten von Grenzen im Schengen-Raum wird zu einem Strafdelikt.

 

Während die Maßnahmen den Konservativen und dem Front National immer noch zu „lax“ erschienen, gingen sie Menschenrechtsvereinigungen zu weit. „Die Verkürzung der Bearbeitungsdauer ist Konsens unter allen Beteiligten“, räumte Pierre Henry, Vorsitzender der Vereinigung „France Terre d’Asile“, ein. Doch es fehlten Einrichtungen, wo Ankömmlinge sich über ihre Rechte informieren könnten, um diese auch wahrzunehmen; die Erstaufnahme übernehme die Polizei. Mitarbeiter des französischen Flüchtlingsamtes machten mit einem Streik auf die Schwierigkeit aufmerksam, Anträge in Rekordzeit fair und regelkonform zu bearbeiten.

 

Zwar sieht das Gesetz auch Verbesserungen für bestimmte Flüchtlinge vor: Es verlängert die Aufenthaltserlaubnis für Menschen, denen in ihrer Heimat Verfolgung, Krieg oder gar Tod droht, sowie für Heimatlose von einem auf vier Jahre und erweitert den Familiennachzug von Minderjährigen mit Asylanspruch über die Eltern hinaus nun auch auf die Geschwister. Ausländische Studenten sollen Hilfen für Unternehmensgründungen erhalten.

 

Doch die Ausgewogenheit, die Innenminister Collomb versprochen hatte, sehen selbst viele Abgeordnete von Macrons Regierungspartei La République en marche nicht. Während sie dessen Politik bislang loyal stützte, regte sich auch in ihren Reihen Widerstand und Kritik am harten Umgang der Polizei mit Flüchtlingen, deren Identität nun sogar in Notunterkünften überprüft werden kann. Auch bisherige Unterstützer Macrons wie der Ökonom Jean Pisani-Ferry warnten diesen vor „Doppelzüngigkeit“ und einer „brutalen“ Einwanderungspolitik. Wie lässt sich diese human gestalten, ohne die Ängste der Bevölkerung  zu übergehen? Dieser Balanceakt, der die deutsche Öffentlichkeit seit mehr als zwei Jahren umtreibt, ist auch in Frankreich heikel.

 

Par Redaktion ParisBerlin le 24 avril 2018