Frostig bis freundlich: das französisch-polnische Verhältnis
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Polen ist das einzige Land weltweit, das Napoleon Bonaparte in seiner Nationalhymne besingt. Doch erst mit dem Amtsantritt François Hollandes 2012 sind die Beziehungen zwischen beiden Ländern wieder herzlich geworden.
Frankreich und Polen verbinden eine tausendjährige Geschichte und eine so legendäre
wie pathetische Freundschaft voller Missverständnisse. Der frühere
Außenminister Bronislaw Geremek nannte dies eine "Asymmetrie der Gefühle":
Polen war stets um die Anerkennung und Liebe Frankreichs bemüht, wurde aber in
seinen Hoffnungen oft enttäuscht. Frankreich hingegen hat Polen in der
Vergangenheit glühend verehrt, es aber immer als weit entferntes Land
betrachtet. Dieses Bild ist nun im Wandel begriffen.
Die gemeinsame Geschichte der zwei Länder begann im Mittelalter. 1573 wurde
der Herzog von Anjou zum König von Polen gewählt, doch nach nur fünf Monaten
floh er und beschimpfte das polnische Volk als ?barbarisch, hochmütig, treulos,
prahlerisch und geschwätzig". Die erneute Annährung ging von Frauen aus: auf
französischer Seite heiratete Marie Luise von Nevers-Gonzaga (1611-1667) den
polnischen König Wladyslaw IV. Wasa, während Marie Casimire d'Arquien mit
Johann III. Sobieski liiert war. Auch zwei berühmte Männer Frankreichs ließen
sich von Polinnen betören: Maria Leszczynska wurde die Frau Ludwig XV. und
Maria Walewska Napoleons Mätresse.
Wirklich kennengelernt haben sich beide Völker erst im 19. Jahrhundert während
Napoleons Siegeszug. Er ließ die Polen darauf hoffen, die Einheit ihres Landes
wiederherzustellen. Nachdem Polen infolge von Gebietsaufteilungen im Jahr 1795
von der Landkarte verschwunden war, gründete Napoleon 1807 das Herzogtum Warschau,
setzte den Code Napoléon ein und
legte so den Grundstein für die Entstehung einer Nation. Das Herzogtum hatte
aber nur acht Jahre Bestand, bevor es vom russischen Zaren zurückerobert wurde.
Napoleons Vermächtnis aber nährte bis zur Konferenz von Jalta 1945 die
Hoffnungen, die Polen über die Jahrhunderte hinweg in den Westen und allen
voran Frankreich setzte. Auch ist es das einzige Land weltweit, das Napoleon in
seiner Nationalhymne besingt: "Bonaparte gab uns vor, wie wir zu siegen haben."
Das 20. Jahrhundert war geprägt von Ressentiments, deren Ausgangspunkt der Zweite
Weltkrieg war. Im September 1939 war das französische Volk nicht bereit, "für
Danzig zu sterben". Die Polen bezeichneten dies als "Frankreichs Verrat" und
beklagten, dass die Franzosen ihnen beim Überfall auf Polen nicht geholfen hätten.
Durch den gemeinsamen Kampf ebbte die Feindseligkeit wieder etwas ab.
Im Kommunismus zeigte sich die Vielschichtigkeit der französisch-polnischen
Beziehungen. Die Ende der 1970er-Jahre entstandene Solidarnosc-Bewegung hatte
auch Auswirkungen auf Frankreich, denn sowohl Intellektuelle als auch einfache
Bürger setzten sich für die Polen ein. Die politischen Beziehungen hingegen waren
etwas komplizierter. Als es galt, für die friedliche Koexistenz von
Kapitalismus und Sozialismus zu sorgen, leitete Charles de Gaulle seine "Ost-Politik" ein, fuhr auf Staatsbesuch nach Warschau (1967) und Bukarest
(1968) und "deutete beiden Ländern gegenüber an, sie könnten unabhängige Akteure
auf der großen internationalen Bühne sein", wie der Soziologe Georges Mink
schreibt. Charles de Gaulle war 1919 nach Polen versetzt worden und besaß gute
Landeskenntnisse. Er bewunderte diese "Nation, die imstande ist, einen hohen
Preis für ihre Freiheit zu zahlen" und nahm an, die Rückkehr zur Unabhängigkeit
sei nur eine Frage der Zeit. Dass Frankreich sich jedoch mit der
kommunistischen Regierung unter Edward Gierek arrangierte, machte das polnische
Volk misstrauisch. "Für die Franzosen ist der Kommunismus eine Idee, der ein Hauch
von Abenteuer anhaftet. Für die Polen ist er eine Tragik, eine Mauer, die sie
von der westlichen Welt trennt", unterstreicht Georges Mink.
Als die kommunistische Regierung am 13. Dezember 1981 über Polen das
Kriegsrecht verhängte und François Mitterrands Außenminister Claude Cheysson bekräftigte,
dass Frankreich "selbstverständlich nichts tun wird", vertiefte sich der Graben
zwischen beiden Ländern. Das Jahr 1989 ist schließlich richtungweisend für das
französisch-polnische Verhältnis, denn der Zusammenbruch des Kommunismus
brachte das europäische Gleichgewicht erneut ins Wanken. In den Worten des
Politologen Aleksander Smolar war "das Jahr 1989 für Frankreich eine
regelrechte geopolitische Katastrophe. Mitterand hatte erkannt, dass der Dreh-
und Angelpunkt Europas sich mit dem Eintritt der Länder Mitteleuropas in den
europäischen Club zwangsläufig von Paris nach Berlin verlagern würde." Während
Polen und Mitteleuropa bis zu Beginn der 1990er-Jahre in der französischen
Außenpolitik kaum eine Rolle spielten, gab Deutschland bereits 1991 den Anstoß
zur Bildung des Weimarer Dreiecks als einer Kooperationsplattform für
Frankreich, Deutschland und Polen, um Warschau auf dem Weg in die NATO und die
EU zu begleiten. Frankreich wehrte sich zunächst gegen die EU-Osterweiterung,
denn Außenminister Hubert Védrine zufolge "haben diese Länder nie einen
Unterschied zwischen EU und NATO gemacht und hegen zudem eine große Bewunderung
für Amerika." Aus Pragmatismus wertete Frankreich den Erweiterungsprozess
schließlich als natürlich und unabwendbar.
Partner zweiter Wahl
Die anfängliche Zurückhaltung erweckte in Polen jedoch den Eindruck, für
Frankreich lediglich ein Partner zweiter Wahl zu sein. Dieser Eindruck
verschärfte sich unter der Präsidentschaft von Jacques Chirac während des
Irakkriegs 2003. Der frühere polnische Präsident Aleksander Kwasniewski
beschwerte sich 2012 in einem Interview in Le
Monde: "Frankreich ist nie ein einfacher Partner gewesen und empfand uns
gegenüber keinerlei moralische Verpflichtung, während wir oft über die
historischen Bande zwischen Frankreich und Polen sprachen." Frankreich wiederum
ärgerte sich über die Doppelzüngigkeit der Polen, die zwar einerseits den
EU-Beitritt als ihr gutes Recht betrachteten und in diesem Zusammenhang
umfangreiche finanzielle Beihilfen aus den reicheren Mitgliedsstaaten
erwarteten, andererseits aber amerikanische F-16-Kampfjets anstelle der
französischen Mirage-Flugzeuge kauften.
Sarkozy schlägt neue Töne an
Seit dem EU-Beitritt Polens im Jahr 2004 konzentrierte man sich wieder auf
gemeinsame Interessen: Polen und Frankreich verfolgten im Hinblick auf eine
starke Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) und die Entwicklung einer europäischen
Verteidigungspolitik dieselben Ziele. Mit der Wahl Nicolas Sarkozys erklangen
plötzlich ganz neue Töne. In Anspielung auf seine ungarischen Wurzeln erklärte
Frankreichs Präsident 2008 in der polnischen Presse: "Ich verstehe die
Denkweise der Osteuropäer. Sie nehmen den Platz ein, der ihnen in Europa
rechtmäßig zusteht. Polen ist ein großes Land, das Europa gemeinsam mit den
anderen großen Ländern in die richtige Richtung ziehen muss." Diese
Bereitschaft, Polen wieder in den Kreis der "großen Nationen" Europas
aufzunehmen, rührte allerdings auch daher, dass ein drohendes polnisches Veto
zum neuen vereinfachten EU-Vertrag abgewendet werden sollte. Frankreich
beseitigte schließlich die letzten Hürden für die Freizügigkeit auf dem
Arbeitsmarkt und schloss mit Polen ein Abkommen über eine strategische
Partnerschaft. Diese bekam aber erst mit dem Amtsantritt François Hollandes den
entscheidenden Impuls.
Seither ist das französisch-polnische Verhältnis herzlicher geworden.
Hollande, der nicht müde wird, die "historische Freundschaft" zwischen beiden
Ländern zu betonen, hat die strategische Partnerschaft um ein
Kooperationsprogramm mit militärischer Dimension ergänzt. Ziel ist die
Ausgestaltung einer französisch-polnischen Partnerschaft nach dem Muster des
deutsch-französischen Verhältnisses unter Nutzung sämtlicher Möglichkeiten, die
das Weimarer Dreieck eröffnet. Die Polen sind ihrer
ungleichen Beziehungen mit den Amerikanern mittlerweile überdrüssig und blicken
öfter nach Brüssel als nach Washington. Gerade jetzt, wo das
deutsch-französische Paar etwas kraftlos wirkt, die deutsch-polnischen
Beziehungen jedoch ausgezeichnet sind, könnte die Annäherung zwischen Paris und
Warschau durchaus hilfreich sein, um Kompromisse auf EU-Ebene zu finden und ein
mögliches Gleichgewicht im künftigen Europa zu skizzieren.
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