Den Gegner fest im Blick


jeudi 29 juin 2017
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Die deutsche Rollstuhltennisspielerin Sabine Ellerbrock hat es bei der diesjährigen French Open erneut bis ins Finale geschafft. Die Bielefelderin, die bereits 2013 als erste Deutsche nach Steffi Graf einen Grand-Slam-Titel bei dem Pariser Turnier gewann, zählt weltweit zu den erfolgreichsten Athletinnen in ihrer Disziplin. Doch ihr Alltag als Rollstuhltennisspielerin in Deutschland ist nicht nur aus sportlicher Sicht eine tägliche Herausforderung.


© Hartwig Ellerbrock

Es ist brütend heiß in Paris an diesem Donnerstag im Juni, an dem Sabine Ellerbrock ihren Auftakt beim Pariser Roland Garros Turnier bestehen muss. Als eine von weltweit acht Sportlerinnen in der Kategorie Rollstuhltennis hat sich die Bielefelderin bereits zum sechsten Mal für das Grand Slam Turnier qualifiziert.
 
Zwischen Ballkontakten und Aufschlägen kurvt Sabine Ellerbrock auf ihrem Rollstuhl über die rote Asche des Tennisplatzes. Den Blick fest auf die Gegnerin gerichtet, um abzuschätzen, wann sie mit der Hand an die Reifen fassen, wann sie auf den Rädern herumwirbeln und in die andere Richtung davonsausen muss.

Nach einer Stunde hat Ellerbrock das Spiel für sich entschieden, und sich für die nächste Runde qualifiziert. Auch wenn sie sich später im Finale geschlagen geben muss, kann Ellerbrock auch bei diesem Turnier zeigen, warum sie weithin als die Galionsfigur des deutschen Rollstuhltennis gilt.
 
Sportbegeistert ist Sabine Ellerbrock schon seit ihrer Kindheit. Sie spielte jahrelang leistungsorientiert "Fußgänger"-Tennis, nahm an Marathonläufen teil, ging Windsurfen. Der große Einschnitt in ihrem Leben kam 2007: Bei einer Routine-OP am Fuß traten Komplikationen ein. Ihr rechter Fuß versteifte sich chronisch. Die damals 32-Jährige war von nun an dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen. Der Sport schien in unerreichbare Ferne gerückt, doch sie gab nicht auf. Zwei Jahre später schlug sie ihren ersten Tennisball aus dem Rollstuhl über das Netz.

Vor dem Turnier Mathematikaufgaben korrigieren


"Rollstuhltennis hat für mich von Anfang an eine positive Kompensation meiner Behinderung bedeutet", sagt die Tennisspielerin, die sich im Februar dieses Jahres letztendlich für eine Amputation ihres rechten Unterschenkels entschied.  "Das Wichtigste ist, die alten Bilder aus dem Kopf zu kriegen und sich zu sagen: Es geht nicht mehr so wie vorher, aber es geht viel! Dann kann man auch versöhnlicher mit so einem Schicksal umgehen."
 
Ihr Aufstieg zu einer der erfolgreichsten internationalen Rollstuhltennisspielerinnen war nicht leicht. "Im Vergleich zu Ländern wie England oder den Niederlanden ist Rollstuhltennis bei uns in Deutschland noch vollkommen unterentwickelt", sagt Ellerbrock. Ihr ganzes Know-How zum Training im Rollstuhl habe sie sich im Ausland aneignen müssen. Es gebe in Deutschland keine geschulten Trainer für Rollstuhltennis, kaum Förderung oder Unterstützung von den Verbänden, keine individuelle Betreuung, beklagt sie. Zu ihren Wettkämpfen müsse die Sportlerin meist alleine fahren, die Mehrkosten dafür, einen Trainer oder einen Hitting-Partner zum Einspielen mitzunehmen, müsse sie aus eigener Tasche zahlen.
 
Während andere Profisportler sich gänzlich auf Training und Karriere konzentrieren können, arbeitet Ellerbrock gleichzeitig hauptberuflich als Gymnasiallehrerin. "Auch am Abend vor meinem ersten Grand-Slam-Sieg vor vier Jahren habe ich noch Klausuren korrigiert", erinnert sie sich und zuckt mit den Schultern. Ohne einen zusätzlichen regulären Job sei ihr Sport für sie nicht finanzierbar.

Sport zur Förderung des Selbstbewusstseins


In ihrer Freizeit setzt sich Sabine Ellerbrock für die Entwicklung des Rollstuhltennis in Deutschland ein. Sowohl aufgrund ihres eigenen Schicksals, als auch ihrer Erfahrung als Sportlehrerin an einer Inklusionsschule weiß sie, dass Sport für körperlich beeinträchtigte Menschen besonders wichtig ist. "Für Kinder im Rollstuhl ist es ein enormer Motivationsschub, wenn sie sehen, dass Sport für sie möglich ist und sie etwas erreichen können", sagt Ellerbrock. Kinder im Rollstuhl würden von ihren besorgten Eltern oft überbehütet und könnten vom Sport erheblich für ihr Selbstbewusstsein profitieren. "Die Kinder blühen auf, weil sie das Gefühl haben, nicht nur daneben zu sitzen, sondern selbst mit dabei zu sein."
 
An Wochenenden organisiert die Sportlerin ehrenamtlich sogenannte "Try Out Tage", an denen sich Behinderte und Nichtbehinderte unter ihrer Anleitung im Rollstuhltennis versuchen können. Denn oft seien es gerade finanzielle Hürden, die jungen Rollstuhlfahrern den Zugang zum Sport verwehren. "Sport wird für einen Behinderten nach wie vor als Luxus gesehen. Inklusion ist dann leider oft nur eine leere Worthülse."

Eine tägliche Herausforderung


Es müsse ein Netzwerk aufgebaut werden, das klar mache, welche Vereine den Sport anbieten und wie man diese mit gebrauchten Rollstühlen aussatten könne. "Eine Einzelperson kann das nicht leisten, dazu braucht es die Verbände. Meine Hoffnung liegt auch auf den regionalen und lokalen Vereinsstrukturen", sagt Ellerbrock.
 
Gerade wurde Ellerbrocks Antrag auf eine Sportprothese abgelehnt. Seit klar wurde, dass sie aus diesem Grund keinen Sportunterricht mehr geben kann, setzen sich ihre Schüler mit einer Petition für sie ein, doch eine Lösung scheint vorerst nicht in Sicht. "Was sich die meisten Behinderten wünschen ist ein Stück Normalität", sagt die Sportlerin. Sie habe sogar ihren Behindertenparkausweis einklagen müssen, obwohl ihr drei Ärzte eine Rollstuhlpflicht attestiert hatten. "Man hat das Gefühl, man wartet sein ganzes Leben an Fahrstühlen oder auf Entscheidungen der Bürokratie".

Auch wenn die täglichen Schwierigkeiten sie manchmal zweifeln ließen, habe sie sich bereits ein großes Ziel für ihre sportliche Zukunft gesetzt: "Wenn ich meine Prothese bekommen habe, möchte auf jeden Fall noch einmal in Berlin den Marathon laufen."
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