Von Jasmin Kohl
Ein paar Klicks im Internet, ein paar Wochen Wartezeit, dann steht die große Box vor der Tür. Aufmachen, Nummernschild ‘ran und los geht die Fahrt mit dem unu-Elektroroller. Der Haken? Das Start-up „unu“ setzt alles daran, dass ein solcher nicht existiert. Das Trio aus den Deutschen Pascal Blum und Elias Atahi und dem Franzosen Mathieu Caudal hat 2013 von München aus der traditionellen Lieferkette den Krieg angesagt. Kosten für Zwischenhändler und Lagerung fallen durch den Onlinevertrieb weg, so sparen sie bis zu 40% ein. Ihr Ziel: Elektroroller, die trotz individueller Fertigung günstig sind: je nach Motorstärke und Design zwischen 1800 und 3000 Euro. Der Antrieb funktioniert mit portablen Batterien, die an einer herkömmlichen Steckdose aufgeladen werden können. Fünf Jahre später sitzt „unu“ in Berlin, hat nach Österreich, Frankreich und in die Niederlande expandiert. Mit einer Wachstumsrate von 725% kürte sie das Fachmagazin Gründerszene auf Platz vier der am schnellsten wachsenden deutschen Start-ups. Das Magazin Forbes stellte das deutsch-französische Trio auf seine „30 under 30“-Liste.
Den Standortwechsel an die Spree beschreibt der Franzose Caudal als Erfolgs-Katalysator: „Berlin ist als deutsche Hauptstadt national und vor allem auch international ein Ort mit großer Strahlkraft und stetige Quelle für Inspiration.“ Aber was hat Berlin, was Paris nicht hat? „Gefühlt sind in Paris eher wenige französische Start-ups mit großen europäischen und internationalen Ambitionen da“, sagt Caudal. Der Fokus liege häufig auf dem französischen Markt, genau das Gegenteil sei in Berlin der Fall: „Hier ist der Fokus meist die Öffnung in Richtung international.“ Für Berlin sprächen außerdem die Synergieeffekte, die sich durch die höhere Dichte an Start-ups ergäben sowie moderatere Unternehmenskosten und Mieten. Paris sei aber auf einem guten Weg: Gründungszentren und Co-Working-Spaces hielten immer mehr Einzug. Und die französische Hauptstadt hat einen entscheidenden Vorteil: Es fließe mehr Kapital als in Berlin. „In Berlin liegt die Inspiration, in Paris liegt das Geld“, fasst Caudal zusammen.
Künstliche Intelligenz nutzbar machen
Nicolas Bresson ist anderer Meinung: „Die Innovationskultur ist in Paris stärker ausgeprägt, vor allem was Apps, die mit Künstlicher Intelligenz arbeiten, angeht.“ Nur konsequent, dass der Franzose das Start-up „SteerIO“ zusammen mit seinen Freunden Damien Guery und Thomas Hecht im Januar dort gegründet hat: Künstliche Intelligenz (KI) ist eine wesentliche Komponente ihrer Projektsteuerungs-App. Durch ein ausgeklügeltes Feedback-System soll sie verhindern, dass Projekte an der Umsetzung scheitern. Egal ob ineffiziente Meetings oder Schwierigkeiten in der Kommunikation: Vorzeichen des Scheiterns können Teammitglieder über die App teilen, diese schickt maßgeschneiderte Lösungsvorschläge. Die Schwäche von herkömmlichem Feedback sei oft, dass es unregelmäßig und personalisiert sei. Genau da setzt „SteerIO“ an: Projektteams tauschen sich regelmäßig über die App aus, ob Ziele und Prioritäten noch übereinstimmen.
Für den Standort Paris sprachen aber nicht nur rationale Gründe: „Da haben Herz und Kopf gleichzeitig entschieden“, sagt Hecht, denn hier hat sich das Trio vor zwölf Jahren beim Wirtschaftsstudium kennengelernt. „Gerade ist es für ein Start-up einfach interessanter in Paris zu sitzen“, fügt Bresson hinzu. Die Start-up-Szene boome, weil die führenden französischen Aktienunternehmen sowie Facebook und Microsoft massiv in die Branche investierten. Für zusätzlichen Schwung habe Präsident Emmanuel Macron gesorgt, indem er „Innovation“ zu einer seiner Prioritäten erklärte. Sich auf Paris beschränken, will das Trio aber nicht: „Wir verstehen uns als pan-europäisches Unternehmen und der deutsche Markt ist eines unserer Hauptziele“, sagt Hecht. Zwischen den beiden Ländern navigieren sie schon heute: Bresson, der seit vier Jahren in München wohnt, knüpft Kontakte zu deutschen Firmen und reist alle zwei Wochen an die Seine. Die Risikokultur sowie Unterstützungen für Start-ups seien in Deutschland zwar weniger ausgeprägt und die Kundenbindung schwieriger. „Ist die Kundenbeziehung aber einmal aufgebaut, ist das wirtschaftliche Potenzial höher als in Frankreich“, schwärmt Bresson. Momentan befindet sich „SteerIO“ noch in der Beta-Testphase, im Herbst soll die App auf den Markt kommen. Bis dahin erproben ausgewählte Partner das Produkt – und geben den Gründern das ihnen wohl teuerste Gut: Feedback.
Zusammenarbeit mit Institutionen
Einen prominenten Fan haben sie bereits: „Eine derartige Plattform ist natürlich sehr vielversprechend für eine Institution wie die unsere“, sagt der Präsident der Deutsch-Französischen Hochschule (DFH), Professor David Capitant, denn Projektarbeit ist DFH-Tagesgeschäft. Zusammen mit sieben Partnerinstitutionen, darunter die Arts et Métiers ParisTech und die Deutsch-Französische Industrie- und Handelskammer, lud die DFH jüngst 30 europäische Start-ups auf die Technologie- und Start-up-Messe „Viva Technology“ in Paris ein – darunter auch „SteerIO“ und „unu“. Im Vordergrund: Ideenaustausch und Networking. Das Motiv: In den Bereichen Ingenieurswesen und Unternehmensführung will die DFH verstärkt auf duale Studiengänge setzen und mit Start-ups zusammenarbeiten. „Der Wandel in eine digitale Gesellschaft ist eine unserer drei strategischen Achsen“, sagt Capitant.