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Im Paragrafendschungel
mardi 13 janvier 2015
Schon im eigenen Land sind die Regeln der Rechtsprechung vom Laien kaum zu durchschauen. Was tun, wenn man einen Streitfall im Nachbarland zu klären hat? Marie-Avril Roux Steinkühler und Jutta Laurich praktizieren grenzüberschreitend in Berlin und Bordeaux.Jutta Laurich "Rechtsanwältin ist ein vielseitiger Beruf: Heute arbeite ich im Zivilrecht, morgen kann Strafrecht gefragt sein, obwohl das gar nicht mein Spezialgebiet ist. Übermorgen helfe ich einem Deutschen, sein Haus am Atlantik zu verkaufen." Die 53-jährige Rheinländerin Jutta Laurich blickt zufrieden aus ihrem kleinen Büro auf den schönsten Platz in Bordeaux. 1998 ließ sich Laurich in der Weinstadt nieder. Seitdem hat sich die studierte Zivilrechtlerin mit fast jeder Art von Rechtsfragen beschäftigt: Baurecht, Immobilienverkäufe, Strafprozesse - alles, was die Klienten so brauchen. Dann ruft sie einer ihrer Stammkunden zu Hilfe: ein deutscher Unternehmer. Es gibt Probleme bei der Schlussabrechnung mit seinem Kunden auf einer großen französischen Baustelle. "Ich bin dort die einzige zweisprachige Rechtsanwältin. Eine Frau zwischen den Männern auf dem Bau beruhigt das Gesprächsklima häufig erst einmal", erzählt Jutta Laurich. "Ich steige in die Details ein, lasse mir Rechnungen vorlegen und versuche, zwischen Deutschen und Franzosen zu vermitteln. Andere Anwälte habe ich da noch nicht gesehen." Deutsche Anlagenbauer, die nach Frankreich exportieren, sorgen bei Laurich so für Langzeitaufträge. Eine Großbaustelle besteht schließlich oft über Jahre und anschließend läuft noch die zehnjährige Haftung. Die französische Anwältin Marie-Avril Roux Steinkühler hat aus ihrer Berliner Kanzlei nur einen Blick auf Charlottenburger Fassaden. Keine architektonischen Glanzstücke wie in Bordeaux. "Das spielt aber gar keine Rolle", meint Roux Steinkühler. "Wenn ich mit meiner Kanzlei für Autorenrechte in Paris geblieben wäre, hätte ich natürlich im 8. Arrondissement residieren müssen. In Berlin ist der Standort der Kanzlei nicht so wichtig." Roux Steinkühler teilt sich die Büros mit ihrem Mann. Ihre Mitarbeiterinnen in den großzügigen Berliner Räumen sprechen fast nur Französisch. Auch sie hat Stammkunden, bekannte Autoren und in letzter Zeit große Finanz- und Medienunternehmen, die intensiv betreut werden wollen. Mit den Klienten über die Grenze Marie-Avril Roux "Als ich vor elf Jahren meinen deutschen Mann kennenlernte und nach Berlin zog, habe ich meine Klienten aus Frankreich mitgenommen", erzählt Marie-Avril Roux Steinkühler. "Die haben zunächst gar nicht gemerkt, dass ich nicht mehr in Paris war." Sie habe von zu Hause aus gearbeitet und ihre Kanzlei in Paris behalten. "Aber es war anstrengend, ständig zu Terminen nach Frankreich zu fliegen. Wir hatten damals ein schwieriges Verfahren gegen Karl Lagerfeld." Die Französin aus Toulon hatte nach ihrer Ausbildung eine typische Pariser Anwältinnenkarriere gestartet. "Wäre ich nicht meinem Mann zuliebe nach Berlin gekommen, wäre ich heute wohl eine dieser gestressten Pariser Superwomen, deren Kinder meutern, weil sie ihre Mutter nur am Wochenende sehen", glaubt Roux Steinkühler. "Hier in Berlin arbeite ich von acht bis halb vier und kann dann für meine drei Töchter da sein. Nach Frankreich fliege ich nur noch alle zwei bis drei Monate."Marie-Avril Roux Steinkühler hat französisches Recht studiert, am Gericht in Berlin hat sie einen assoziierten Status. "Wer wirklich im deutschen und französischen Recht kompetent sein will, muss in beiden Ländern studieren", glaubt sie. "Das dauert dann eigentlich zweimal fünf Jahre. Junge Rechtsanwälte machen das. Ich beschäftige mich für meine Kunden in Frankreich aber nur mit französischem Recht." Wenn es darum geht, deutsche Verträge abzuschließen, arbeitet Roux Steinkühler mit deutschen Kollegen zusammen. Plädieren würde sie nicht auf Deutsch. Die Rechtsauffassung ist völlig anders Auch Jutta Laurich in Bordeaux bekennt: "Ich habe sehr lange gebraucht, um richtig Französisch zu schreiben. Das ist eine Kunst im juristischen Bereich." Auch die Art zu argumentieren sei anders. Wenn man etwas härter auftreten wolle, dann verpackten die französischen Kollegen das in sehr elegante Schriftsätze. "Da muss man schon zwischen den Zeilen lesen." Beim Plädieren versucht Laurich gar nicht erst, ihre französischen Kollegen zu imitieren: "Ich plädiere ganz normal, so wie ich das in Deutschland auch tun würde. Es hat gar keinen Zweck, den Sprachstil der französischen Kollegen nachzuahmen." Besonders häufig müssen die beiden Anwältinnen ihren Mandanten die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem französischen Rechtssystem erklären. Welcher deutsche Klient weiß schon, dass die Richter in französischen Zivilverfahren die Prozessakten oft erst nach der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis nehmen oder dass bei diesen Verfahren keine Zeugenaussagen als Beweise zugelassen sind? "Die Rechtsauffassung ist in beiden Ländern völlig anders", erklären beide Anwältinnen übereinstimmend. Auch die Körperhaltung und -sprache während eines Prozesses sei vollkommen unterschiedlich: "Wenn ich in einem französischen Gerichtssaal bin", erklärt Marie-Avril Roux Steinkühler, "dann stehe ich beim Plädoyer manchmal eine halbe Stunde hier unten und dort, fünf Meter von mir entfernt, sitzt der Richter auf einem ziemlich hohen Podest. Ich muss dann den ganzen Fall darlegen." In deutschen Gerichten sehe man Richter oft mit den Rechtsanwälten auf den Gängen diskutieren: "Viele kennen sich aus dem Studium, weil sie länger als die Franzosen die gleiche Ausbildung durchlaufen haben", sagt Roux Steinkühler. In Frankreich trennen sich Anwalts- und Richterausbildung schon früher als in Deutschland. Nicht immer allerdings geht es zwischen Deutschland und Frankreich nur um Hausverkäufe oder Urheberrechte. Für Jutta Laurich wird es manchmal richtig dramatisch, wenn sie beispielsweise nach einer Kindesentführung um Hilfe gebeten wird. "Dann geht es um Minuten." Schnellstmöglich müsse sie dann mit dem zurückgebliebenden Elternteil ein detailliertes Erklärungsformular für die deutschen und französischen Behörden ausfüllen, damit die Fahndung beginnen kann. "Da mache ich regelrechte Ermittlungsarbeit", meint Laurich. "An ein Honorar denke ich bei solchen Fällen oft gar nicht."
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