Schon über die Begriffe „Sex-ArbeiterInnen“ oder „sexuelle Dienstleistungen“ aus dem Einladungstext vom Institut Français Berlin stutzte die frühere, französische Abgeordnete Maud Olivier Anfang Oktober. Der Begriff „Sexarbeit“ legitimiere Prostitution als etwas Normales, schrieb Olivier an die Leiterin Dominique Treilhou. Genau das, was das französische Gesetz von 2016 bekämpfe. Prostitution werde nun in Frankreich als Gewalt definiert – und nicht als Arbeit, so Olivier, die das damalige Gesetz initiierte.
Die „Herausforderungen des Schreibens“ über Prostitution
„„Über Prostitution schreiben: Literatur & Sozialwissenschaften – Blickwechsel“ sei der Titel des Abends gewesen, antwortete Treilhou erst nach der Podiumsdiskussion. Es ging nicht um eine Debatte über Prostitution, sondern um die „Herausforderungen des Schreibens“. Eine Soziologin und eine Schriftstellerin, beide aus ungarischer Herkunft, hätten ihre Arbeiten über ungarische Prostituierte aus der Kürfürstenstraße dargestellt. Treilhou wunderte sich, warum über ein auch in Frankreich umstrittenes Thema nicht berichten werde dürfte. Am Anfang des Abends sei die Gewalt der sexuellen Ausbeutung erwähnt worden – und auch die Tatsache, dass sie in Frankreich verboten sei.
Ein zweiter Brief von Olivier bisher ohne Antwort
Falsch, erwiderte Olivier in einem zweiten Brief. Prostitution sei in Frankreich weder verboten noch illegal. Frauen werden nicht mehr verfolgt, sondern nur die Kunden und die Zuhälterei, die allerdings dort schon seit 1946 verboten ist. Das schränkte die Sex-Industrie dort schon lange ein. Nur 40.000 prostituierte Frauen gebe es schätzungsweise in Frankreich – in Deutschland 400.000. Olivier forderte eine „Gegendebatte“ zeitnah in Berlin. Nun liegt der Ball im Feld des Institut Français.
„Ein völlig falscher Eindruck von den ungarischen Zuhältern“
Die französische Senatorin Claudine Lepage gab zu, über die Zielsetzung des Abends ließe die Semantik einen Verdacht schweben. Eine Debatte möge von Interesse sein, sie sei persönlich gegen den Begriff Sex-Arbeit und befürworte das französische Gesetz.
An dem lauschigen Herbstabend erwähnten die Referentinnen zwar die Gewalt der Straßenprostitution. Allerdings sehr knapp oder in Nebensätzen – gepaart mit der Floske, nichts beschönigen zu wollen. Ausführlicher war die Geschichte einer „freiwillig“ nach Deutschland eingereisten Ungarin, die sich für ihren Zuhälter mehrere Monate prostituierte. Sie wurde schwanger und sie heirateten. Auf tanzende und lachende, ungarische Straßenprostituierte wies die Schriftstellerin außerdem hin. Sie hätten erstaunlich banale Probleme wie kalte Füße – so wie auch stehende Polizisten.
Überhaupt ging es viel um die Auflösung des Musters Opfer/Täter, um „Schubladendenken“, um „Arbeit“, „Beruf“, um die „Mädchen“ („les filles“), besonders um „Liebesbeziehungen“ und auch einmal um das verwirrende Gefühl, „den Boden der Tatsachen zu verlassen“, so Yargekov. Aber kein Wort über den traumatisierten Zustand der prostituierten Frauen.
Als „glamouröse Darstellung der Prostitution“ wurde die Podiumsdiskussion im Vorfeld auf Twitter kritisiert. Solche Verdachte würden im Laufe des Abends schnell verschwinden, versicherte Treilhou.
„Einen völlig falschen Eindruck von den ungarischen Zuhältern“ habe der Abend erweckt, meldete sich zum Schluss aus dem Publikum Gerhard Schönborn vom Verein Neustart. Dieser unterhält seit über zehn Jahren einen Kontaktcafé für die Frauen an der Kurfürstenstraße. Die Gewalt der ungarischen Zuhälter sei „sehr massiv“. Prostituierte Frauen aus Bulgarien hätten ihm berichtet, wie Ungarinnen nachts auf dem Parkplatz häufig zusammengetrieben und brutal geschlagen werden.
„Wenn schon vergewaltigt – wenigstens gegen Geld“
In ihrem Brief schrieb Olivier, Prostitution geschehe selten freiwillig, sondern entweder unter dem Druck eines Netzwerkes von Menschenhändlern oder aus Not zum Überleben. „Frauen, die zustimmen, tun es, weil ihnen alles aussichtslos erscheint“, schrieb die PS-Politikerin. „Weil ihr Körper schon unerträgliche Dinge erleiden musste, weil sie vielleicht auch meinen: Werde ich schon misshandelt und vergewaltigt, dann warum nicht wenigstens gegen Geld!“
Geneviève Hesse
Das Centre Pompidou Metz ist nicht das einzige Beispiel für die Auslagerung eines nationalen Museums in die Provinz: das Musée du Louvre Lens gibt es seit ein paar Jahren auch! Es geht um eine Auslagerung des Louvre-Museums ins ehemalige Kohlebecken in Nordfrankreich. Ich bin ziemlich enttäuscht, so eine Auslassung im Paris-Berlin Mag zu finden…